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Donnerstag, 30. April 2015

Das Foto

September 2012


Besuche bei meiner Mutter unterscheiden sich kaum. Mit 84 verlaufen die Tage immer in der gleichen Eintönigkeit, deshalb muss ich mir auch Woche für Woche dieselben Geschichten anhören. Es ist anstrengend.

Im Wohnzimmerschrank entdecke ich ein altes Fotoalbum, in dunkelroten Samt eingeschlagen. Es wirkt abgegriffen und auf jeder Seite ist ein vergilbtes Bild mit steif wirkenden Personen eingeklebt und um für ein wenig Abwechslung zu sorgen, schlage ich vor zusammen dieses Album anzusehen.

Es ist dann doch spannend, wie diese Personen in den Erzählungen meiner Mutter lebendig werden.
"Das ist deine Oma, da war sie etwa 16."
Das Foto zeigt eine junge, hübsche Frau in schwarzem Rock und weißer Bluse. Wahrscheinlich ihr Sonntags-Staat, denn auf dem Land war man zu dieser Zeit sehr einfach, beinahe ärmlich gekleidet.
Sie blickt dabei so voller Kraft und Optimismus in die Zukunft, ohne zu wissen, was das Schicksal für sie bereithält.

Mutter beginnt zu erzählen. Über ihre eigene Kindheit und über ihre Mutter, meine Oma. So lange es noch jemanden gibt, der als Zeitzeuge darüber berichten kann, sollte man all das festhalten, damit es nicht verloren geht.



 .

Donnerstag, 23. April 2015

Das Dorf


Oktober 2012



Mit Bekannten treffe ich mich beim Italiener und erzähle von meiner Idee und davon, dass ich sie sofort wieder verworfen habe. Im Internet habe ich mich umgesehen und festgestellt, dass ein Biograf ca. 8000 Euro verlangt.
"Dann schreib es doch selber!" bekomme ich beinahe im Chor zu hören.
"ICH... ?!!" erwidere ich entsetzt und ungläubig.

Mein Deutschlehrer prophezeite, der Zugang zur Literatur bleibe mir für immer verschlossen, weil ich vor der Klasse stehend, vor Nervosität den Text von Goethes Osterspaziergang nicht mehr parat hatte.
Durch das in meine Fähigkeiten gesetzte Vertrauen meiner Freunde, und die Hoffnung nach vierzig Jahren eventuell doch noch an Weisheit und Wissen dazugewonnen zu haben, beginne ich über das dörfliche Leben in Ötlingen anno 1914, als meine Oma gerade sechzehn Jahre alt war einige Zeilen zu notieren.

Ich kenne mich aus in diesem Dorf. Ich lebe ja immer noch dort, an dem Bach wo sie einst gebadet hat. Nur, wie man hier vor hundert Jahren gelebt hat, darüber weiß ich wenig.





Zu jedem Besuch bei meiner Mutter nehme ich von nun an ein kleines Diktiergerät mit und erkläre ihr, dass ich ihre Erinnerungen aufnehmen werde, weil ich darüber schreiben möchte. Sie freut sich sehr über mein Interesse und ignoriert das Gerät.

Natürlich kann sie auch nur die Erzählungen ihrer Mutter wiedergeben, deshalb sehe ich mich nach mehr Informationsmaterial um. Bei meiner Heimatzeitung werde ich fündig und ergattere die letzte Ausgabe der Ötlinger Dorfgeschichte.
Bis ins Jahr 1760 reichen die Eintragungen über meine Familie mütterlicherseits zurück. Vielleicht liegt es an den Genen, dass mich bei dieser Entdeckung beinahe Panik erfasst.
Für meine Oma war unser kleiner Bahnhof das Tor zur Welt und der Ort ihrer Träume und Sehnsüchte.





Donnerstag, 16. April 2015

Briefe

Januar 2013


"Beim Umzug meiner Eltern in ihr neues Haus im Jahr 1960 habe ich Briefe auf dem alten Dachboden gefunden. Liebesbriefe." erzählt mir meine Mutter sehr zögerlich und weiter, dass sie daraus entnehmen konnte die große Liebe von Oma sei im ersten Weltkrieg gefallen.
"Und wo sind die Briefe?" möchte ich wissen.
"Die habe ich sofort weggeworfen, davon sollte niemand erfahren!"

Na super! Unersetzliche Dokumente aus dem ersten Weltkrieg - einfach weg. Die Spießigkeit und die überzogenen Moralvorstellungen der Nachkriegszeit haben verhindert, dass die Nachkommen davon in Kenntnis gesetzt wurden, dass es außer meinem Opa noch einen Mann in diesem Leben gab.

Überall stoße ich an Grenzen. Die Geschichte eines Lebens wollte ich schreiben, aber immer mehr muss ich feststellen, dass ich über dieses Leben doch zu wenig weiß. Mit ein paar Anekdoten ist es einfach nicht getan und außerdem empfinde ich mein Geschreibsel ziemlich dilettantisch.
Aber, obwohl ich normalerweise sehr schnell die Flinte ins Korn werfe, packt mich plötzlich der Ehrgeiz  und ich entdecke ein neues Hobby.
Facebook erspürt meine Not und serviert mir vor der Nase die Werbung für einen Schreibkurs. Der Kurs für Biografisches Schreiben dauert nur acht Monate und ich melde mich sofort dort an.
Die zwei wesentlichen Dinge, die ich dabei gelernt habe sind einmal, Wörter wegzulassen und zweitens, mit Kritik umzugehen.
Parallel zu diesem Kurs arbeite ich weiter an meinem Vorhaben.




Das Haus meiner Großeltern, in dem schon mehrere Generationen zuvor gelebt haben war ursprünglich ein reines Bauernhaus, wurde aber nach dem 2.Weltkrieg nicht mehr landwirtschaftlich genutzt. 1960 wurde es verkauft und danach abgerissen.




Donnerstag, 9. April 2015

Dresden

März 2013

Die Zeitzeugnisse aus dem ersten Weltkrieg sind endgültig verloren.
Ich beschließe also, mich zuerst auf den zweiten Weltkrieg zu konzentrieren. Die Geschichte liegt näher und ist relativ gut bekannt - dachte ich.
Die Erinnerungen meiner Mutter sind manchmal recht verschwommen und eine Person in der Vergangenheit leben zu lassen, erfordert eine Menge an Detailwissen. Ich lese also alles, was ich an Information bekommen kann. Ohne das Internet hätte ich wohl meine ganze Freizeit in Bibliotheken verbracht.

Der Zeitabschnitt über den meine Mutter das größte detailierte Wissen besitzt sind die Jahre zwischen 1940 und 1945 als sie mit ihren Eltern und ihrer älteren Schwester in Dresden lebte. Die Familie wechselte öfters den Wohnort, da ihr Vater, mein Opa als Beamter mehrmals versetzt wurde.
Für meine Oma ging damit ein Traum in Erfüllung: Endlich raus aus dem schwäbischen Dorf in eine richtige Großstadt mit all den kulturellen Angeboten.

Wenn man über das Leben in einer Stadt schreiben will, muss man dort gewesen sein um ein Gefühl dafür zu bekommen. Also fahre ich nach Dresden.

An das Wohnhaus kann sich meine Mutter noch sehr gut erinnern. Es stand Ecke Ludendorffallee / Rietschelstraße. Sie nennt mir Straßennahmen, die ich auf keiner Karte finden kann. Im Dresdener Archiv werde ich freundlich unterstützt und weiß nun dass die Ludendorffalle zum Terrassenufer umbenannt wurde.

Der Ort ist leicht zu finden. Er liegt direkt an der Elbe und ist nur von einer Straße getrennt. Von den ehemals herrschaftlichen Barockbauten steht allerdings keiner mehr.
Als am 13. Februar 1945 nachts die Bomben fielen, war meine Oma mit ihren beiden Töchtern, damals 20 und 17 alleine. Mein Opa war im Außendienst.
Es war eine eiskalte Nacht. Auch bei meinem Besuch fällt Schnee. Der Moment, als ich mich auf die Bank setze, wohin sich die drei Frauen nach dem ersten Angriff gerettet hatten ist für mich sehr berührend. Natürlich ist es nicht mehr dieselbe Bank, aber von diesem Blickwinkel aus haben sie wohl zugesehen, wie im Hintergrund ihr Haus abbrannte.






  

 
Beim zweiten Bombenangriff suchten sie Schutz an der Ufermauer im Hintergrund. Diese Mauer hat ihnen das Leben gerettet. Nur, was sie mit diesem geschenkten Leben anfangen sollten, wussten sie in den ersten Stunden noch nicht.











Donnerstag, 2. April 2015

Auf Wohnungssuche



August 2013



Nachdem ich Dresden besucht habe, war mir klar, ich kann über die Wohnorte meiner Großeltern und ihrer zwei Töchter nur berichten, wenn ich sie selbst gesehen habe. Das Internet kann mir nicht das Gefühl vermitteln, welche Ausstrahlung eine Stadt besitzt.

Ich war doch ziemlich verwundert, dass sich meine Mutter an die Straße erinnert, wo sie als kleines Mädchen in Ludwigsburg gewohnt hat. Sogar das Haus mit der Mauer davor, die eine Einbuchtung mit einer Bank darin hatte konnte sie genau beschreiben.
Das Haus mit der Mauer habe ich ohne Probleme gefunden. Unglaublich! Es sah noch beinahe genau so aus wie vor achtzig Jahren.





Vier Jahre später, im Jahr 1936 ist die Familie nach Schwäbisch Hall gezogen. Auch dort habe ich das Haus mit der verglasten Veranda sofort gefunden. Ich kannte den Straßennamen und konnte mich daran orientieren, dass es ein  Eckhaus gewesen sein soll.






Im November 1938 mussten sie miterleben, wie in der Reichsprogromnacht die Juden gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben wurden. In Schwäbisch Hall lebten zu dieser Zeit sehr viele Juden.
Auf dem großen Marktplatz, wo man im Sommer noch das Schauspiel vom  Jedermann auf der großen Treppe verfolgen konnte, brannte ein großes Feuer aus Möbeln und Büchern der leergeräumten jüdischen Geschäfte und Wohnungen.
Heute erinnert noch eine Gedenktafel, die im Pflaster des Marktplatzes eingelassen ist an diese schreckliche. Nacht.









Donnerstag, 26. März 2015

Zum goldenen Adler

Oktober 2013


Über Das Leben meiner Oma im 2. Weltkrieg habe ich nun ausreichend Informations-Material gesammelt und sollte mich nun ihrer Jugendjahre im 1.Weltkrieg zuwenden.
Außer ein paar überlieferten Geschichten habe ich keine Dokumente mehr. Ich versuche mir einfach anhand alter Fotos ein Bild von jener Zeit zu machen und überlege mir, wie sie damals gelebt haben könnte.

In der Stadt Kirchheim, nicht weit von ihrem Dorf Ötlingen entfernt (später wurde beides zusammengelegt) gab es ein Wirtshaus mit einem sehr großen Saal, das weit über die Grenzen hinaus bekannt war -  Der goldene Adler.
Heute erinnert nur noch der Adler über dem früheren Eingang daran. Sonst findet man nur die üblichen Läden, wie sie in jeder mittleren Stadt zu finden sind in diesem Gebäude. Von der alten Pracht ist leider nichts mehr geblieben.





Mittlerweile weiß ich, wo Informationen zu bekommen sind.
Ich wende mich an das Archiv der Stadt und finde nicht nur einen großen Artikel über das frühere Wirtshaus, sondern begebe mich auch auf eine persönliche Zeitreise.


Untergebracht ist das städtische Archiv ist in einem unscheinbaren Gebäude zwischen historischen Bauwerken.
Nach dem Öffnen der Eingangstüre fühle ich mich augenblicklich in das Haus meiner Oma versetzt. Von einem düsteren Gang aus, kommt man in verschiedene Räume, die öffentlich genutzt werden.
Gleich links führt eine viertelgewendelte Holztreppe in das nächste Stockwerk zum Archiv. Beim Betreten der knarrenden, mit Linoleum belegten Stufen, und beim Berühren, des glatt polierten Holzhandlaufes, überkommt mich das Gefühl, eine Zeitreise in die Anfänge des letzten Jahrhunderts anzutreten.
Räume, die den Eindruck erwecken, einst als Wohnung gedient zu haben, in denen die Wände ringsum bis unter die Decke mit Büchern und Ordnern vollgestellt sind. In der Mitte des größeren Raumes sitzt ein alter Herr im schwarzen Anzug an einem Tisch und macht sich Notizen aus einem Buch.
Seitlich, fast zwischen den Büchern verborgen sucht ein älterer Mann Informationen an einem Bildschirm,- ein Mikrofilm-Betrachter wie es scheint. Wenigstens ein Gegenstand, der mich daran erinnert, dass ich mich in der Gegenwart befinde.
Eine Verwaltungs-Angestellte versorgt mich im Nebenraum mit dem gewünschten Informations-Material in einem Leitz-Ordner. Damit setze ich mich neben den alten Herrn an den Tisch.
"Meinen Schülern in der Oberstufe habe ich immer gesagt, es ist wichtig zu wissen, wo man nachschlagen kann." erklärt er dem Mann am Betrachter.
Für einen Moment werde ich ganz hellhörig und vergesse, in meinem Zeitungsartikel weiterzulesen. Ich frage ihn nach seinem Namen und ob er an der hiesigen Schule Lehrer gewesen sei. Bei der Nennung seines Namens fühle ich mich sofort wieder in die Vergangenheit versetzt.


Dreizehnjährig sitze ich im Klassenzimmer. Vor mir ein Lehrer, den ich altersmäßig nicht richtig einschätzen kann. Selbstgerecht und humorlos versucht er Wissen zu vermitteln und mit geringem Interesse wird es kurzfristig gespeichert, da von der korrekten Wiedergabe immerhin die eigene Zukunft abhängt.

Überrascht erkläre ich ihm, dass ich vor über vierzig Jahren seine Schülerin war. - Nur ein flüchtiger, abschätzender Blick, der für einen kurzen Moment Ratlosigkeit erkennen lässt, und kommentarlos fährt er fort sich ausschweifend über die Bausünden der letzten Jahrzehnte auszulassen. 81 sei er inzwischen und durch einen Schlaganfall linksseitig gelähmt, bemerkt er noch im Hinausgehen.

Seltsam, meine Zukunft konnte er in keiner Weise beeinflussen, und von dem ganzen übertragenen Wissen ist vielleicht nur geblieben, dass ich heute hier sitze und weiß, wo ich etwas nachschlagen kann.

Freitag, 13. Februar 2015

Verbrannte Erde









Die Bombennacht von Dresden jährte sich am 13. Februar 2015 zum 70. Mal.
Andere Städte wurden bereits viel früher zerstört, mit zum Teil wesentlich mehr Toten. Aber niemand hat damit gerechnet, dass am 13. Februar 1945, als das Ende des Krieges bereits abzusehen war Dresden durch den großen Feuersturm in Schutt und Asche gelegt werden würde.
Diese Nacht ist bei meiner Mutter noch in ihrer ganzen Grausamkeit gegenwärtig. Nur mit sehr viel Glück hat sie zusammen mit ihrer Schwester und der Mutter, meiner Oma überlebt.
Völlig mittellos und ohne Dach über dem Kopf blieb den drei Frauen, wie so Vielen in dieser Zeit keine andere Wahl, als den langen Weg in die schwäbische Heimat anzutreten. Immer auf der Flucht vor der roten Armee.
Glücklicherweise fand mein Opa seine Familie nach wenigen Tage wieder und gab ihnen Halt auf ihrem langen Marsch.

An so viele Details aus der Vergangenheit kann sich meine Mutter erinnern, aber die circa acht Wochen ihres langen Weges in die Heimat liegen wie unter einem Nebel begraben. In mehreren Dörfern hatten sie Schutz gesucht, jedoch kann sie sich an keinen Namen mehr erinnern. Manches aus ihrer Erzählung kann ich mit der geschichtlichen Überlieferung nicht in Einklang bringen und bleibt unklar.
Für mich das schwierigste Kapitel überhaupt.
Ein Weiterleben wäre für diese traumatisierte Generation vielleicht nicht möglich gewesen, hätten sie nicht einen ganzen Zeitabschnitt komplett aus ihrem Gedächtnis gelöscht oder verdrängt. Deshalb bin ich auch nicht sicher, wie ich diese Erinnerung zu bewerten habe. Möglicherweise gibt es Dinge, von denen ich nie erfahren werde.